Surat, Gujarat
6 hours ago

Alopezie und Lockdown – Lockdown und Alopezie

Ich weiß gar nicht, wie man am Besten anfängt.

Ich leide nun seit ca. drei Jahren unter dem kreisrunden Haarausfall, seit zweieinhalb Jahren in seiner schlimmsten Variante. Ich habe sämtliches Kopf- und Körperhaar verloren. Am schlimmsten war der Moment, in dem ich festgestellt habe, dass die Augenbrauen und die Wimpern ausgehen. Mit Stolz kann ich sagen, dass ich wirklich schöne Wimpern hatte. Sehr häufig wurde ich gefragt, ob diese echt sind, so lang, dicht und geschwungen.
Augenbrauen formen dein Gesicht, geben ihm einen Rahmen. Merkt man tatsächlich auch erst, wenn man sie nicht mehr hat. Mir war das zumindest vorher nicht so bewusst.

Die erste Zeit ohne all meine Haare war hart. Sehr hart. Doch man wächst ja bekanntlich mit seinen Aufgaben. Ich lernte nicht nur, mit Perücken umzugehen, sondern auch mit „Fake Lashes“ und bestellte mir Augenbrauen als Klebetattoos. Ja, es gibt heutzutage wirklich alles und für fast jedes Problem eine Lösung. Ich schaute gefühlt tausend YouTube-Videos dazu, wie man sich mit Fake Lashes so schminkt, dass es immer noch natürlich aussieht, weil ich immer noch als Ziel hatte, dass es keiner merkt. Niemand sollte sehen, was ich alles an Haaren verloren hatte.

Es half mir, meinem gewohnten Alltag weiter nachzugehen. Klar, ich hatte (und habe!) mal gute und mal weniger gute Tage. Aber im Großen und Ganzen lief es mit diesen Hilfsmitteln ganz gut. Mein Äußerliches war für mich akzeptabel.

Und immer dann, wenn meine Seele mal eine Auszeit brauchte, fuhr ich mit meinem Freund in den Urlaub. Mal für drei Wochen, mal auch nur für drei Tage. Aber es half immer. Woanders zu sein, keine Menschen, die einen kennen und bei denen man Angst haben muss, dass die Perücke verrutscht, man die Wimpern im Sturm verliert oder sich die Augenbrauen durch starkes Schwitzen lösen. Nur mein Freund und ich zwischen all den fremden Menschen.

Dann kam Corona. Und mit dem Virus wurde mir die Möglichkeit genommen, mir diese Auszeiten, die so wichtig für mich geworden waren, nehmen zu können. Zu Beginn war das noch kein Problem. Home Office, kaum Menschen, die man treffen konnte bzw. durfte und dazu wahnsinnig gutes Wetter und schon fühlte sich der Alltag fast wie eine kleine Erholung an. Doch der Lockdown dauerte an, das Wetter wurde schlechter und die Möglichkeit des Home Office in meinem Job immer geringer. Seit fast einem Jahr heißt es daher, jeden Tag zur Arbeit. Jeden Tag Menschen mit Maske gegenüberstehen. Selbstverständlich halte ich mich an die Regeln. Aber eine Maske zu tragen, wenn man eine Perücke trägt, ist schon nicht ganz einfach. Sie lenkt jedoch auch noch die volle Aufmerksamkeit auf die Augenpartie und damit auf den Bereich, den ich seit fast einem Jahr versuche, möglichst gut zu verstecken. Für mich ist das Leben, so wie es zur Zeit ist, eine ziemlich große Belastungsprobe. Natürlich bin ich jeden Tag dankbar dafür, dass es mir und meiner Familie gut geht und keiner ernsthaft erkrankt ist. Aber mir fehlt die Ablenkung. Mir fehlt es, meine Seele baumeln zu lassen und abzuschalten. Ich kann noch immer nicht aus vollem Herzen und mit absoluter Überzeugung sagen, dass es mir gut geht. Ich mag mich noch immer nicht im Spiegel ansehen. Ich finde mich auch immer noch nicht hübsch ohne die Haare. Ich bin immer noch neidisch auf Jeden, der seine Haare hat. Und ich denke auch immer noch jeden Tag, warum ich. Und im Moment denke ich all das häufiger denn je.